Vor 25 Jahren beim Mauerfall begann auch schleichend die
Digitale Revolution. Ich hatte
am 9. November einen der coolsten Jobs in der
damals ehemaligen Hauptstadt und war Filialleiter vom größten Plattengeschäft Berlins - WOM World of Music in der Augsburger Straße. Der Vordereingang ging durch
Wertheim am Kudamm. Am nächsten Morgen war ich sehr früh in der Stadt, nur
wenige Anzeichen deuteten auf Veränderungen, aber ich wusste, das würde sich im
Laufe des Tages ändern. Hier und da parkte ein Trabi mit Ostberliner
Kennzeichen am Kudamm und ich sah Leute mit BVB-Uniform. Im Laufe des Tages
wurde es dann voll, sehr sehr voll. Alle bewegten sich sehr langsam, wie in
Zeitlupe, wie um "den Westen" ganz langsam zu erkunden und zu
begreifen. Platten wurden gekauft, keine CDs. Wir entschieden uns, Ost-Mark
anzunehmen, 1:10 stand der Kurs auf dem Schwarzmarkt vor dem Bahnhof Zoo und wir stellten eine eigene Kasse auf einen Tresen. Die
meistverkaufte Platte war Sticky Fingers von den Stones.Viele zahlten mit Tränen in den Augen 100 Ostmark (umgerechnet DM 10 oder ein Zehntel eines normalen Monatslohns) für die Scheibe. Die CBS hatte das Teil
auf Nice Price und der echte Reißverschluss im Pappcover machte was her. Kreditkarten
nahmen wir alle, manuell und mit dem Ratscher. Aus dem Osten gab es natürlich
keine. Immerhin hatten wir schon zwei Computer, ich hatte einen mit DOS 3.0
oder 4.0 (das weiß ich nicht mehr so genau) und so schönen schwarz-weiß-Programme wie Visio für die Tabellenkalkulation und einen Word-Editor (Name vergessen). In
der Warenannahme hatten wir eine PC, um die Bestände und die Bestandsmargen zu
erfassen. Zur - heute würde man sagen - Vernetzung hatte ich den damaligen
Chefs in München ein Fax aus dem Kreuz geleiert (wozu brauchst Du das denn? Das
kostet DM 2.500 - kommt nicht in Frage), aber damit konnte ich schon einiges in
der Supply Chain beschleunigen. Bestellt wurde telefonisch oder beim Vertreter,
die großen Plattenfirmen hatten alle kleine Auslieferungslager in Westberlin.
Der Rest des Jahres 1989 war ein einziges großes Abenteuer - wie lange und wann würden
wir heute öffnen, welche Währung zu welchen Kurs annehmen, welche Ware
beschaffen um welche zu verkaufen (verschenken von echten Remittenden hatte
auch Hochkonjunktur)? Ja, das war Change! Der Mantel der Geschichte wehte durch
die Straßen von Ostberlin und Westberlin und es war ganz bestimmt eine mächtig geile
Zeit.