Hyper Smash Kommunikation 21: 2012

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Das Gefälle von Scrum

Jeff Sutherland, WikiCommons
Im Januar 1986 erschien einer der heute legendärsten Artikel in der Harvard Business Review. Unter dem etwas kryptischen Titel "New New Product Development Game" beschrieben Hirotaka Takeuchi und Ikujiro Nonaka einen radikal neuen Ansatz, um neue Produkte zu entwickeln. Nach ihrer Idee sollten fachübergreifende Teams sämtliche Schritte auf dem Weg zu einem neuen Produkt gemeinsam durchlaufen und sich in Rugby-Manier gegenseitig zuarbeiten und ohne Abstimmung mit anderen Teams oder dem Management mit ihrer jeweiligen Produktidee durchsetzen.

In der neunziger Jahren adaptierte Ken Schwaber diese Methode in seiner Firma für das Entwickeln von Software. Im gleichen Zeitraum gestaltete auch Jeff Sutherland in seiner Firma Easel den Entwicklungsprozess für Software nach den Prinzipien von Takeuchi und Nonaka um und benutzte dafür als Erster den Begriff Scrum. Der Name lehnt sich am ehesten am wilderen Rugby als Teamsport an und ist kein Akronym.

Heute gibt es weltweit geschätzte 500.000 "Certified Scrum Master" (CSM), die mit dem Gedankengut der agilen Entwicklung ihre jeweiligen kleinen und großen Unternehmen infizieren und innovativer machen. Die wichtigsten dieser Gedanken finden sich im agilen Manifesto.

Es sollte aber noch einige Jahre dauern, bis sich Scrum weltweit ausbreitete. Der Druchbruch kam nach der Implosion des Dot-Com-Hypes im Jahr 2001. Der Druck auf die Notwendigkeit zur extreme schnellen Anpassung für kalifornische IT-Unternehmen wurde so hoch, dass sich in einer Kettenreaktion die meisten für Scrum als Methode der Software-Entwicklung entschieden. Ich fragte Jeff Sutherland am Rande einer Tagung in Wiesbaden letzten Monat, wie es danach weiterging. Er sagte, als erstes Land in Europa adaptierte Großbritannien im großen Stil im Jahr 2005. Er führte dies auf die sprachliche Nähe zur USA zurück. Im Jahr 2009 erfolgte nach seinen Worten die Explosion in den nordischen Ländern.

Gefragt nach Deutschland antwortete Jeff Sutherland, dass er die Quote hierzulande auf bescheidene 30% schätzt, aber dass sich die Szene organisch und stetig entwickelt. Er denkt, dass die Verlustangst in Management ein wesentlicher Grund ist, warum sich Scrum in Deutschland nicht schneller entwickelt.

Nachdem es keinen deutsche Wiki-Artikel über Jeff Sutherland gibt, schreibe ich hier ein paar Zeilen über seine Vita: geboren 1955 in Kalifornien, 100 Flugeinsätze über Nord-Vietnam (er gilt als Top Gun), Abschluß in Stanford und PhD an der Universität von Colorado, CEo von Scrum Inc.

Und immer ist es eine Freude, ihm zuzuhören.

Sonntag, 2. Dezember 2012

Anpassung und Untergang


Organisches System, Foto © jpl
Organischen Systemen begegnen wir in der Natur überall. Ein Organismus am Beispiel einer Pflanze wächst und passt sich beständig den sich verändernden Standortbedingungen an. Licht, Wasser, Nährstoffe haben eine kontinuierliche Auswirkung auf den Wuchs und die spezifische Ausprägung dieser Pflanze. Gleichzeitig kann die Form der Pflanze nur innerhalb der Grenzen ihrer DNA variieren. Eine Eiche kann nicht in der Wüste wachsen und eine Dattel nicht in der Arktis. Komplexe Pflanzen wie Bäume sind mehrjährig und können auch periodischen Ereignissen wie Trockenheit oder Kälte in Grenzen widerstehen – was auch auf komplexe Unternehmen zutrifft.  Biomasse kann durch externe Ereignisse abgetragen werden, Beispiel Blitzschlag oder Tierverbiss. Solche extern zugefügten Wunden können bedingt ausgeglichen werden, führen in manchen Fällen aber auch zum plötzlichen Tod. Ein wesentliches Merkmal der Pflanze des organischen Systems ist die Reproduktionsfähigkeit. Ökologisch passende Räume werden durch Reproduktion solange besiedelt, bis der Raum vollständig besetzt ist. Dies findet aber fast immer im Wettstreit mit anderen organischen Systemen statt, die um die begrenzten natürlichen Ressourcen konkurrieren. Grundliegende Veränderungen in der Beschaffenheit der natürlichen Ressourcen – beispielsweise dauerhaft trockener oder dauerhaft kühler – wird zum Rückgang der einen Art und zur Ausbreitung einer anderen Art führen. Geschehen die Veränderungen in der Umgebung plötzlich und radikal, kann dies zum plötzlichen Aussterben der vorhandenen Art führen. Kurzum – ist die Anpassungsgeschwindigkeit nicht ausreichend, folgt der Untergang. Vor solchen Herausforderungen standen nach dem Platzen der Dot-Com-Blase die kalifornischen Internet-Unternehmen. Die Überlebenden konnten sich schlicht schneller den sich blitzartig veränderten Rahmenbedingung anpassen. Die agile Entwicklung, auch als Scrum bezeichnet, sollte eine entscheidenen Rolle spielen.




Mittwoch, 28. November 2012

Ein Traktor für 20 Dollar



Es ist nicht lange her, dass in der Generation Facebook Farmville auf Teufel komm raus gespielt wurde. Dann hat Facebook ein paar Einstellungen geändert und seitdem ist es deutlich schwieriger, den Kollegen vom Bauernhof noch wiederzufinden. Viele Nutzer sind auch vom Browser aufs Smartphone umgestiegen und da machen andere Apps dann viel mehr Spaß als Trecker fahren und Möhren anbauen. Marc Pincus vom Hersteller Zygna hat da so seine Sorgen.

Farmville Traktor © Zygna


Das Spiel selbst ist kostenlos und Zynga hat noch eine Menge weiterer Spiele im Bauchladen. Geld kommt rein, wenn der Spieler dann digitale Hilfsgüter für die digitale Welt kauft. Ein digitaler Traktor mit Grenzkosten Null kostet bei Zynga USD 20 – das ist doch Mal Wertschöpfung. Der Weltmarkt für solche digitale Güter wird von McKinsey auf 5 Milliarden USD geschätzt. Damit hätte Zynga an diesem Sektor einen Marktanteil von 20% und noch viel Luft nach oben – vorausgesetzt, die anderen Mitspieler ließen sich verdrängen oder der Markt würde stark wachsen.

Zynga als Hersteller dieser Lösungen hat mit der schnellen Veränderung im Nutzerberhalten deutlich zu kämpfen, wie ein Blick auf ein paar Zahlen zeigt.  Znyga erreichte im ersten Quartal einen Umsatz von 321 Mio. USD mit einem – nennen wir das provisorischen – Gewinn von 47 Mio USD. Davon blieb aber nichts übrig, da 134 Mio USD an Mitarbeiter in Form von Aktienoptionen ausgeschüttet wurde. Bei 1.300 Mitarbeitern sind das stolze 100.000 USD pro Mitarbeiter – durchschnittlich. Einerseits wurde das Aktienprogramm jetzt auf alle Mitarbeiter ausgedehnt, andererseits sind die Mitarbeiter über den Kurs und die Ertragskraft von Zgyna so unzufrieden, dass viele Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Man fragt sich, ob solche Modelle tatsächlich als Unternehmen betrieben werden oder nicht eher als Casinos. Unter dem Strich darf der Aktionär mit 84 Mio USD Quartalsverlust nach Hause gehen. Immerhin: die Anzahl der täglich aktiven Nutzer stieg auf 62 Millionen und die Anzahl der Nutzer, die wenigstens einmal im Monat aktiv ist, stieg auf 236 Millionen. Die darunterliegende Infrastruktur skaliert also ordentlich mit. Genutzt wird das RZ von Facebook, was aber nicht ganz billig ist. Auch die stark steigenden Zahlungen an Facebook für die IT-Infrastruktur und die Kommission, die an Facebook für die Nutzung der Plattform zu zahlen ist, haben die Kosten von Zynga deutlich in die Höhe getrieben. 

Auch für Zygna gilt als Bewertungsmaßstab die konservative Formel von Benjamin Graham. Die erste Rechnung wäre einfach: ein Gewinn von 0 mal 10 ergibt einen Aktienkurs von Null und der Rest ist Goodwill mit einem hohen Verlustrisiko. Rechnung zwei blendet die Aktienoptionen ‚einfach‘ aus. Allerdings muss man in einer so optimistischen Rechnung auch ausblenden, dass der Gewinn gegenüber dem Vorjahr um 38% zurückging. Mit diesen Verschönerungsmaßnahmen bliebe es bei einem fiktiven Gewinn von 190 Mio USD im Jahr. Bei 583.862.000 Aktien ergibt sich daraus ein Ergebnis von 32ct je Aktie. Damit beträgt der faire Wert USD 3,20 oder € 2,48. Der Kurs liegt aktuell bei € 1,80. In der Gesamtbetrachtung ist also noch viel Luft nach unten aber nur wenig nach oben. Das 52-Wochen-Hoch lag bei € 12,00.

Mittwoch, 14. November 2012

Bücher mit digitaler Beschleunigung



Bücher, Büchlein und Magazine gibt es wie Sand am mehr. Ob 31 Millionen Bücher oder 7,5 Millionen Magazine, immer mehr Inhalte stehen kostenlos zur Verfügung. Lohnt es sich denn dann noch wirtschaftlich, ein Buch zu schreiben, um damit Geld zu verdienen? Das Risiko, in der Unendlichkeit des digitalen Raumes verloren zu gehen, nimmt bei der schieren Masse der Inhalte zwangsläufig zu. Wer dann noch Geld verlangt für seine digitalen Produkte, läuft zwangsläufig vor die Pumpe – sollte man meinen. Vook suchte einen anderen Ausweg für dieses Dilemma und kappte den Preis für seine 750 Bücher von USD 4,99 auf kurzerhand umsonst. Was nach Selbstmordstrategie aussah, entpuppte sich als Bringer. Jede Menge Leute fingen an, über diese Kampagne zu tweeten und zu bloggen und auf den großen digitalen Verteilplattformen begann das große Herunterladen. 

Durch die große Menge an kostenlosen Downloads schossen viele Titel in den Empfehlungslisten nach oben und wurden auch Interessenten vorgeschlagen, die von einem Verlag namens Vook noch nie gehört hatten. Wenige Tage nach Beginn der Kampagne wurden 125.000 an einem Tag heruntergeladen - das virale Marketing hatte gegriffen. Kostenlose Vook-Bücher schafften es an die Spitze der kostenlosen e-Bücher. Ende der Geschichte: in einer Woche wurden 300.000 Bücher geladen und die Querverkäufe anderer Titel, die wiederum über die Empfehlungsmaschinen zu sehen waren, betrugen 26.000 Bücher, die tatsächlich verkauft wurden. Das animierte Buch über den 2. Weltkrieg schaffte es kurzfristig bis auf Platz 2 in den US-Charts.

Donnerstag, 1. November 2012

Deutschland holt auf

Noch vor zwei Jahren sah es global betrachtet in Deutschland recht düster aus. Die Harvard Business Review attestierte Deutschland den letzten Platz bei der Nutzung von sozialen Medien. Solche Analysen lassen sich heute bequem mit Analyse-Software wie von SocialBakers durchführen. Auch ohne Abo lassen sich etliche nützliche Statistiken abrufen oder konfigurieren. Diese hier zum Beispiel misst, wie viele an Firmen gerichtete Posts auch tatsächlich beantwortet werden und deutsche Firmen springen auf den globalen Platz 5. Ein Zeichen, dass sich etwas in Sachen Akzeptanz und Nutzung sozialer Medien bewegt.

(c) Socialbakers.com

Mittlerweile gibt es in Deutschland 24.978.600 Facebook-Nutzer und erreicht damit Platz 10 in der globalen Nutzung, absolut betrachtet. Das Wachstum im Quartal betrug genau 5% und die Penetration beträgt 30,36%. Da ist noch viel Luft nach oben, die Vereinigten Arabischen Emirate im Vergleich bringen es auf einen Wert von über 66%.

Bei den Marken werden die Charts von amerikanischen Marken dominiert, angeführt von Coca-Cola mit über 56 Millionen Likes. Die erste, zumindest im Kern, deutsche Marke kommt auf Platz 19 und heißt Adidas mit 16 Millionen Likes.

Und hier noch ein Blick auf die aktuellen Top-20-Likes des deutschen Einzelhandel bei Facebook - der stationäre Teil. Die führende Ziffer bezeichnet den Rang in der Gesamtauswertung der deutschen Facebook-Likes.



4 Lidl
9 DM
14 Douglas
17 Rossmann
22 Saturn
51 Deichmann
69 Esprit
77 Tchibo
78 MediaMarkt
80 Real
88 Primark
105 Kaufland
112 Peek und Cloppenburg
126 Thalia
138 Conrad
152 Obi
158 Weltbild
171 Edeka
173 C&A
186 Rewe

Was mir auffällt: die Drogeriemärkte tummeln sich alle fleißig im oberen Abschnitt. Wer hätte gedacht, dass ein vermeintlich schnödes Format mit so vielen Likes bedacht wird. Lidl rangiert auf Platz 4, während Aldi es nicht in die Top 20 schafft. Die Fashion-Anbieter sind stark unterrepräsentiert, wenn man an die Ballung von Geschäften in den Fußgängerzonen und Einkausfszentren denkt. Überraschend ist die hohe Platzierung von Primark, obwohl es zur Zeit gerade mal nur 8 Läden gibt. Da gibt es offensichtlich viele beinharte Fans und echte Leidenschaft. Komplett abwesend sind Warenhäuser und von der Phalanx der Baumärkte schafft es gerade einmal einer in die Top 20.

Samstag, 27. Oktober 2012

Das mechanisierte Herz



Neben einer tragenden Säule im Erdgeschoß klaffte ein großes Loch im Betonboden. Jede Menge Kabel verschwanden ins darunter gelegene Verkaufsgeschoß. Nur die Telefonanlage fehlte noch. Ich wusste, dass der Auftrag erst letzte Woche unterschrieben worden war. „Indeed, a store of this size should have a telephone system. That would be a good idea“, sagte der Bauleiter. 




Virign Megastore Berlin 1991, Kudamm 15
die linken beiden Schaufenster waren der Eingang

Wir befinden uns im neuen Virgin Megastore in Berlin im Jahr 1991 und ich bin der Store Manager auf seinem ersten Rundgang durch den neuen Laden – dem ersten in Deutschland. Zwei Etagen, 1.500 m², Kudamm 15. Gary hat ein Mobiltelefon in Form eines Werkzeugkoffers dabei, das er mit beiden Händen schleppen muss. Der Hörer ist mit einem Spiralkabel mit dem Kasten verbunden. Ziemlich klobig, aber in der Tat mobil. Ich sage, er solle die Bodenöffnung noch offenlassen, da erst noch die Kabel für die Telefonanlage gezogen werden müssen. „Mein Sohn, morgen betoniere ich das Loch zu – ich habe schließlich einen Plan“. Ich bestehe darauf, dass erst die Kabel gezogen werden. Er entgegnet „Wenn Du mich aufhalten willst, musst Du durch den ganzen Prozess im Head Office in London laufen. Die Chance hast Du aber nur theoretisch, das wirst Du nicht schaffen“. Ich bin verblüfft – „und dann?“. „Wie gesagt, morgen betoniere ich und wenn Du ein Loch brauchst, dann musst Du einen Change Request stellen“. Ich war wieder verblüfft – „und dann?“. „Na, dann bohre ich Dir daneben ein neues Loch für Deine Telefonanlage“. So geschah es. Merke: wer ein Unternehmen lenkt, in dem ein mechanischer Prozess wichtiger ist als die Menschen, mechanisiert die Herzen und schaltet den gesunden Menschenverstand zuverlässig aus.