David Weinberger, Quelle WikiCommons |
Gottfried Leibniz aus Leipzig, deutscher
Universalwissenschaftler aus dem 17. Jahrhundert sprach von einer schrecklichen
Masse sich täglich auftürmender Bücher. Damit meinte er auch kulturelle
Institutionen seiner Zeit, in denen Bücher manchmal mehr eine Alibifunktion
einnahmen. Novalis prägte 1798 das Wort der „Bücherseuche“. Ursache waren die
Druckerpressen und die zunehmende Verfügbarkeit von Papier. Entsprechend
konnten mehr Inhalte denn je an mehr Lesende – oder zumindest Sammelnde – denn
je verkauft werden. In der digitalen Welt 200 Jahre später mit Speicherplatz
zum Nulltarif gibt es nun kein Halten mehr. Daten, Informationen und Wissen
überfluten uns in beliebigen Mengen, die immer weiter ansteigen. Wir werden
erst noch lernen müssen damit umzugehen was es bedeutet, dass nichts (!) nie
(!) mehr verloren geht. Richard Wurman sprach von der Angst vor der Information
(Information Anxiety) und stellte die Parabel auf, dass ein heutiger New Yorker
mit einer Ausgabe der New York Times mehr Informationen verarbeiten muss (falls
er alles liest) als ein Engländer im 17. Jahrhundert in seinem ganzen Leben.
Und das war noch vor Facebook, wo personalisierte Ausschnitte der 1 Milliarde
täglichen Posts wie ein Film mit vielen Einzelbildern pro Sekunde an uns
vorbeiziehen, wenn wir scrollen. Aber – Rettung naht. Clay Shirky erkannte
2008, dass es keinen „Information Overload“ gäbe, sondern dass vielmehr „Filter
Failure“ – ein Versagen der persönlichen Filter – vorliegt. Auf gut Deutsch,
aber zu kurz gesprungen: vielen Menschen fehlt Medienkompetenz. Allerdings, so
argumentiert David Weinberger in seinem Buch „Too Big To Know“, hat die
intensive Nutzung des Informationsgeflimmers im Internet unsere Denkstruktur
bereits verändert: das tiefe und intensive Durchdenken komplexer Fragestellungen
ist auf dem Rückzug. Eine Verflachung der politischen Debatte, in der in kurzen
Abständen möglichst einfache Antworten für hochkomplexe Sachverhalte verlangt
werden, ist in der andauernden Euro-Krise bestens zu beobachten. Sein Fazit:
das Wissen der Welt – das Wissen von Großunternehmen - ist schon lange bei
weitem viel zu groß, als das es von Einzelnen durchdrungen werden kann.
Insofern ist Geschichte immer die Abfolge von unbeabsichtigten Konsequenzen.
Einige weitere Einsichten:
- · Alles Wissen ist sozial!
- · Ein Fakt zu lernen kann das gleiche sein wie einen Fakt zu veröffentlichen (Beispiel dieses Blog)
- · Das Wissen wird durch das verwendete Medium transformiert
- · Information zu Daten verhält sich wie Wein zu Weinberg
- · Wissen braucht Gemeinschaft. Geschlossene Gemeinschaften bergen aber das Risiko als Echokammern zu wirken
- · Wissen ist Interpretation. Interpretation gedeiht im Diskurs
- · Wissen ist ein Werkzeug, dass uns hilft ein Ziel zu erreichen
David Weinbergers Buch trägt den poetischen
Titel „Too Big To Know! Now That the Facts Aren't the Facts, Experts Are
Everywhere, and the Smartest Person in the Room Is the Room” und gibt es nicht
auf Deutsch.
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